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An der Wellenfront - Michael Evers, 10. März 2004



Michael Evers
Kassel, 10. März 2004

An der Wellenfront

Neoplatonischer Idealismus und Alchemie –
die spirituellen Wurzeln der europäischen Kunst
.


  Es ist Ein Licht, das in allem leuchtet,
und Eine Schwerkraft, welche dort die
Körper den Raum erfüllen lehrt, dort den
Hervorbringungen des Denkens Bestand
und Wesen gibt. Jenes ist der Tag, diese
die Nacht der Materie.
  F.W.J. Schelling

Die Welt verändert sich. Man spürt, neben den offensichtlichen Tendenzen wie den neuen Medien und der Globalisierung mit ihren Auswirkungen auf unseren Alltag und unsere Kultur, untergründige Entwicklungen, die oft schwer zu fassen sind. Diese betreffen mich als Künstler besonders, denn dort stirbt der Idealismus. Ich meine damit die platonische, abendländische Metaphysik, von der, nach vierhundert Jahren Aufklärung, nur noch deformierte Reste übrig sind. Ich hatte den Eindruck, daß während der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ganz unterschwellig ein Bruch geschehen war. Das Klima hatte sich dahingehend verändert, daß die künstlerischen Formen negativer und mitunter auch zynischer wurden und daß spirituelle Inhalte in der Kunst noch weniger als sonst eine Chance hatten, akzeptiert zu werden. Die postmoderne Atmosphäre war überall, die Dekonstruktion des Subjekts, die Verneinung der Ideale, die der europäischen Geisteskultur entstammen.

Inzwischen beschleicht mich das Gefühl, ohne fatalistisch sein zu wollen, daß sich die Kunst in einer Krise befindet, die nur überwunden werden könnte durch etwas, das einer kulturellen Revolution gliche. Durch den derzeitigen Extremmaterialismus, durch die Zerstörung seelischer Qualitäten wird in der westlichen Kultur die geistige Orientierungslosigkeit unübersehbar. Kunst, die einen irgendwie gearteten spirituellen Charakter hat, findet man heute nur vereinzelt als Randposition, ausgebootet, unermeßlich weit ab von dem, was gesellschaftlich und kulturell bestimmend ist, lediglich als weitere Farbe innerhalb der multikulturellen Szenen und ohne daß sie eine wesentliche Wirkungskraft entfalten kann, die dem strukturellen Materialismus und Nihilismus etwas entgegensetzen könnte. So gilt in der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann die Idee des erkennenden und autonom schöpferischen Individuums als überholte, alteuropäische Metaphysik. Die Kunst ist in ihrer Selbstbezüglichkeit und in den internen Strukturen ihres Betriebs gefangen. Sie ist zu einem Geschäft der Insider verkommen, in dem die Logik der Macht und des Marktes dominieren, zu einem System unverbindlicher Zeichenspiele, die nur noch die Funktion haben, unsere kapitalistische Welt zu dekorieren.

Doch der Materialismus als Weltanschauung und Lebensform ist ein auslaufendes Modell. Die freie und oft so großartige Kunst der westlichen Moderne hat aus spiritueller Sicht hinter ihren Innovationen und Erweiterungen und hinter ihren Theoriekonstruktionen größtenteils keine weiteren Tiefen zu bieten. Ihre gelegentliche Transzendenz bleibt an der formalen Oberfläche. Der Mythos der Moderne und ihre Ideale erweisen sich einer prüfenden Rückschau zunehmend als leer.

Das Geistige in der Kunst

Jetzt, im Übergang zum Wassermannzeitalter, bekommt das „Geistige in der Kunst“ (Wassily Kandinsky) wieder eine neue Relevanz. Durch die Einflüsse der Mysterienplaneten Uranus, Neptun und Pluto wird das Weltbild des Materialismus selbst dekonstruiert. Die geistigen Kräfte haben eine antimaterialistische, materieauflösende, aufbrechende Wirkung, sie fordern eine seelische Erneuerung und eröffnen neue geistige Möglichkeiten, die vom menschlichen Bewußtsein aufgenommen werden wollen. Die Kunst muß wieder in den Mysterien- zusammenhang gestellt werden. Was kann nun als Orientierung dienen für eine zeitgemäße spirituelle Kunst, für ein neues künstlerisches Verständnis der menschlichen Psyche und allgemein organisch-ganzheitlicher Gestaltungsprozesse? Mir geht es insbesondere um das Wiederfinden der Ideenströme, die aus den europäischen Traditionen stammen. In Deutschland sind wir heute unseren eigenen geistigen Wurzeln durch die Weltkriege und durch die „Entfesselung und Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik“ (Rüdiger Sünner, 1999) entfremdet. Die Deutschen haben sich, in ihrem Wahn des völkischen Nationalismus, von dem gespenstischen Mythengebräu der Nazis verführen lassen, sie konnten nicht unterscheiden zwischen Idealismus und fanatischer Demagogie.

Kunst ist ein Spiegel seelischer Prozesse. Ein Bild wird sichtbar, eine Verbildlichung von Gedanken und Gefühlen, von kommunikativen Strukturen. In der autonomen künstlerischen Denkweise, die außerhalb der kausalen, zweckgebundenen und technischen Rationalität liegt, die der materialistischen Mentalität entspricht, liegen Qualitäten, die eine transformatorische Wirkung haben. Künstlerische Praxis ist auch im Sinne eines therapeutischen Prozesses zu verstehen, als Transformation eines verhärteten Denkens und seelischer und körperlicher Blockaden. Sie ist ein Forschungsgebiet für die Urprinzipien des Lebens, die hinter der Oberfläche des Sichtbaren liegen. Der Kunst wird zwar Objektivität, die die Wissenschaft als ihre Domäne behauptet, abgesprochen; sie hat seit zweihundert Jahren den Subjektivismus kultiviert. Doch die Wahrheit ist: Kunst ist objektiv. Sie erforscht die Grundbedingungen der menschlichen Existenz.

Die Kunst muß vom Denken her erneuert werden, von einem Denken, das aus den Kräften des Herzens, aus dem Seelenprinzip inspiriert ist – wobei, das ist die Voraussetzung, das Ego zurücktritt. Diese Revolution der Seele ist die neue kopernikanische Wende, die Veränderung des Klimas, der Ideenumschwung, die Richtungsänderung, wodurch alles Vertraute in einem neuen Kontext erscheint und in einem hellen Licht. Einem so erweiterten Blick öffnen sich hinter der vordergründigen Faktizität tiefere Bedeutungsebenen, die Wirklichkeit in ihrer mythischen Tiefe wird sichtbar, universelle Schichten, die in Resonanz stehen mit der menschlichen Seele. Entscheidend ist die ideelle Konzeption des Kunstwerks, also die Identität von Kunst und objektiver Wahrheit als anzustrebendes Ideal. Das ist die Grundprämisse, darin liegt die Überwindung subjektivistischer Willkür. Das Kunstwerk soll wirken und den Betrachter berühren, aber als Maler muß ich auch bereit sein, mich der Frage nach der Wahrheit meines Bildes zu stellen.

Den Ursprung dieses integralen Ansatzes habe ich im Neoplatonismus der Renaissance gefunden und in dem hermetische Denken, das ein Denken in Analogien ist. Dies ist eine Herangehensweise, die den Vorstellungen der Alchemie entspricht, in der die Reaktion der Substanzen zum Parallelprozeß und zum Sinnbild wird für seelisch-geistige Transformationen. Aus den objektiven Kräften und überpersönlichen Strukturen des Bildes ergibt sich die Dreipoligkeit der Gestaltungsmittel. Im Inneren des Kunstbegriffs wirken drei Kräfte: erstens die Form, zweitens das Chaotische als ihre Negation und als Drittes die Verbindung, die Passage zwischen diesen beiden: die Synthese. Analog dazu: das rationale Denken, der unbewußte Wille und, als Vermittlung, das Fühlen aus der Herzmitte. Das ist das triadische alchemistische Prinzip von Sal, Mercurius und Sulphur, die drei Substanzen der Natur. Hierin liegt auch die Initiationsstruktur des Stirb und Werde, die aus einer anfänglichen Seinsform besteht, aus der Aufhebung derselben und der neuen Geburt auf einer höheren Ebene. Eine weitere Entsprechung ist das Dreiphasenschema der dialektischen Philosophie, also These, Antithese und Synthese, wodurch die Kunst zu einem Bewegungsprinzip wird. In der Dialektik als künstlerische Methode, in der Dreipoligkeit der Gestaltung, liegt ein moderner europäischer Ansatz, weil im Zentrum der Kunst das Denken wirkt. Das Kunstwerk ist auf Begriffe gegründet, die nicht Bezeichnungen des Intellekts sind, sondern Kräfte. Der theoretische Aspekt ist ebenfalls künstlerisches Material und darf nicht der Kunstwissenschaft überlassen werden. Als Künstler erschaffe ich die Begriffe selbst.

Die alchemistischen Ideen findet man ebenso bei den Gnostikern Paracelsus und Jakob Böhme. Der letztere hat, durch die Integration des Gegensatzprinzips als treibende Qualität, die Philosophie des Deutschen Idealismus, mit dem die moderne dialektische Philosophie begann, entscheidend beeinflußt. Jakob Böhme war von Beruf Schuster, er schöpfte aus seiner Gotteserfahrung ganz unbehelligt von den Normen der akademischen Philosophie seiner Zeit. Er war ein wahrhaft Erleuchteter, einer, dem die Natur und das Göttliche durchsichtig geworden waren und der in mehreren Büchern seine Gottesschau niederschrieb. Er lehrte die Wiedergeburt des ursprünglichen, göttlichen Menschen. - Heute wird sein Museum in Görlitz von Deutschen eher gemieden.

Die Frühromantiker und der Deutsche Idealismus

Auch Philipp Otto Runge, der Künstlerforscher der Romantik, war von der Lehre Jakob Böhmes inspiriert. Für ihn war die Kunst eine Analogie der Natur: “dass unsre Mittel dieselben lebendigen Kräfte sind, die in der Natur würken, und dass eine nothwendige Ordnung darin dieselben Würkungen erzeugen muß“. Er sah seine künstlerische Arbeit, speziell auch seine Farbenlehre - ähnlich wie Goethe -, als eine Rückbindung an universelle Prinzipien. Vor zweihundert Jahren gehörte er zu einer Gruppe von Künstlern und Philosophen, die von der Idee der Einheit von Kunst, Wissenschaft und Religion beseelt waren. Sie versuchten, sich der Bedrohung durch eine totale Veränderung der Welt entgegenzustellen: der aufkommenden Industrialisierung und dem positivistischen, materialistischen Wissenschaftsbegriff.

Diese Phase der Kunstgeschichte bekam für mich im Laufe der Jahre eine tiefere Bedeutung, ich sah sie in einem neuen Licht. Mir wurde bewußt, in welchem Umfang ich die Kunst der westlichen Moderne und ihre Denkstrukturen verinnerlicht hatte, und wie weit diese Inhalte entfernt waren von dem, was meine wirkliche geistige und künstlerische Heimat ist. Ereignisse von vor zweihundert Jahren bekamen für mich eine neue Aktualität. Ich erkannte, daß die Weltkriege, der Nationalsozialismus und das kulturelle Vakuum in Deutschland nach ´45, in das ich hineingeboren war, mich von den künstlerischen Bezügen abgeschnitten hatten, die mir wichtig sind und die im Laufe der Jahre während meiner Suche in mir langsam an die Oberfläche kamen. Die Kunstrevolution der Romantik und die Philosophie des Deutschen Idealismus waren der Versuch, die Gefahr des Materialismus abzuwehren. Es war jedoch von dieser damaligen intellektuellen Elite, unter ihnen Novalis, der schon erwähnte Philipp Otto Runge, Ludwig Tieck, Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Caspar David Friedrich, Fichte, Schelling, Hegel, keineswegs beabsichtigt, eine Entwicklung aufzuhalten, die unausweichlich war, sondern der rationalen Aufklärung und den empirischen Naturwissenschaften sollte eine der mitteleuropäischen Geisteskultur entsprechende Form gegeben werden, eine Synthese aus Ratio und Spiritualität, also das, was man als Ganzheitlichkeit bezeichnet. In dieser Phase, die der Übergang zur Industriegesellschaft war, wurden das metaphysiche Weltbild und das Religiöse in der Kultur von dem damaligen Zeitgeist immer mehr zurückgedrängt, und man ahnte und sah in jenen Kreisen bereits diejenige Welt heraufziehen, in der wir heute leben, die Diktatur der Ökonomie und Technologie, das wissenschaftliche Weltbild, das erkaltete Denken, das die Seele verneint und den Tod der Kultur in sich trägt.

Das Elitetum der Künstler und der stolzen idealistischen Philosophen mit ihrem Absolutheitsanspruch, die Wahrheit zu wissen, ist sicherlich auch ein Grund, weswegen die hohen geistigen Impulse im 19.Jahrhundert nicht wirksam und in der Kultur nicht integriert werden konnten. Dennoch ist es lohnend, unter aktuellen Gesichtspunkten vorurteilsfrei und unakademisch sich dem spirituellen Gehalt der Frühromantiker und des Deutschen Idealismus neu zu nähern. Die deutsche metaphysische Philosophie hat zweifellos den Nachteil, daß sie einseitig das theoretische, abstrakte Denken kultivierte; oft kam sie über metaphysische Spekulationen - im Gegensatz zu den Weisheiten östlicher Meister, die auf tatsächlicher Erleuchtung beruhten - nicht hinaus. Andererseits sind das begriffliche Denken, das individuelle Selbstbewußtsein und die rationale Aufklärung große Errungenschaften der europäischen Kultur. Eine neue spirituelle Kunst sollte meiner Meinung nach diese Qualitäten integrieren und nicht in eine Mystik zurückfallen, die früheren Menschheitsepochen entsprach. Die überflutenden Gewässer des Psychischen werden durch die ordnende Kraft des Denkens strukturiert. Im Großen gesehen kommt es darauf an, zwischen westlicher Aufklärung und Metaphysik die Synthese zu finden, also den Begriff der Aufklärung spirituell zu verstehen – was er tatsächlich ursprünglich war, bevor er materialistisch reduziert wurde. Im 17. Jahrhundert ging die Aufklärung, als der Versuch einer umfassenden europäischen Reformation, von der Bruderschaft der Rosenkreuzer aus („Die Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes“, Frances Yates,1972). Deren Manifest „Fama Fraternitatis“, das in ganz Europa für Aufsehen sorgte, wurde 1614 von der Hofdruckerei des Hessischen Landgrafen Moritz von Hessen in Kassel herausgegeben. Nach dem Dreißigjährigen Krieg setzten sich jedoch gegensätzliche Bewegungen durch, die Aufklärung wurde antimetaphysisch, sie bekämpfte Mystik und Religion. -

Novalis, der sich in seinem Gedicht “An Tieck“ ebenfalls als geistiger Erbe Jakob Böhmes zu erkennen gibt, war einer der führenden Köpfe der romantischen Bewegung. Er lebte zur Zeit der Französischen Revolution; seine Reaktion auf die politischen und sozialen Umwälzungen seiner Zeit war die Idee einer anderen Revolution, nämlich der im Inneren. Am Beginn dieser weltgeschichtlichen Umbruchsituation verstand er seine Existenz als kunstrevolutionäre Praxis, er gestaltete in seinen Dichtungen eine Welt der magischen Geheimnisse und Mysterien, eine Wiederverzauberung der Natur, die sich dem Zugriff der rationalen Naturwissenschaften entzieht. Sein poetisches Programm und seine Mission waren die spirituelle, christliche Erneuerung aller Lebensbereiche und die Einheit von Kunst, Wissenschaft und Religion. Sein Konzept war die Poetisierung, also die Beseelung des Lebens aus den verborgenen, schöpferischen Kräften des Menschen. Poesie war für ihn gleichbedeutend mit einer umfassenden Erhebung der Sprache und der Bilder, einer Loslösung des Menschen aus der Materie, einer radikalen Negation des Materialismus.

Auch die idealistischen Philosophen sahen die Wirklichkeit der Ideen im platonischen Sinne wieder als Grundlage ihres Denkens. Es wurde erneut versucht, den Geistbezug des Menschen herzustellen und eine objektive Ideenwelt hinter der sichtbaren Natur zur Voraussetzung der Natur- und Selbsterkenntnis zu machen. In Schellings Naturphilosophie war die Organismusidee von zentraler Bedeutung, sie stand für die Einheit von Geist, Seele und Materie – nachdem schon im 17. Jahrhundert von dem französischen Philosophen René Descartes die Tiere zu seelenlosen Maschinen degradiert worden waren. Schellings Konzept war gewissermaßen eine Entmaterialisierung, er beschrieb die energetisch-geistige Seite der Materie, die Gesetze und Kräfte hinter der vordergründigen Sichtbarkeit der Dinge. Während Fichte eine Philosophie des transzendenten Ich und des Handelns aus der Idealität verkündete und in seinen – äußerst aktuellen - „Reden an die deutsche Nation“ die Deutschen aufforderte, geistige und moralische Autonomie zu entwickeln, war in der Philosophie Hegels das Sein gleichbedeutend mit dem Denken. In einem in Gegensätzen fortschreitenden Prozeß vollendet sich der Begriff in einer alles umfassenden Einheit.

Die idealistische Philosophie konnte sich jedoch gegenüber den Naturwissenschaften mit ihrem skeptischen Empirimus und Positivismus, der nur das gelten läßt, was man messen und zählen kann, nicht behaupten. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war sie bedeutungslos.

Nachdem die Expressionisten am Anfang des 20.Jahrhunderts - vor allem Franz Marc, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Wilhelm Lehmbruck - diese Ideenströme fortgesetzt hatten, war es Joseph Beuys, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Fortsetzer der Romantik und des Deutschen Idealismus begriff und in Form des „Erweiterten Kunstbegriffs“ das spirituelle Denken und den Neoplatonismus bis weit in die Moderne hineintrug. Ihm ging es vor allem darum, jedes Handeln, auch soziale und gesellschaftliche Prozesse, als künstlerische Form zu begreifen. “Es kommt alles auf den Wärmecharakter im Denken an. Das ist die neue Qualität des Willens.“ In seinem Werk knüpfte er an Ideen von Rudolf Steiner an und kämpfte für die Verwirklichung der Dreigliederung des Sozialen Organismus.

An der Wellenfront

Meine eigene Arbeit sehe ich vor dem hier skizzierten Hintergrund. Wenn erkannt wird, daß es objektive Kräfte sind, die der Künstler gestaltet, wird die Wahrheitsfrage wieder relevant. Ich versuche, in meiner Malerei organisch-ganzheitliche Gestaltungsprinzipien zur Wirkung kommen zu lassen. In allen künstlerischen Formen ist es möglich, dieses integrale Programm zu aktualisieren. In dem momentanen Niedergang der europäischen Kulturen kommt es darauf an, daß die Kunst wieder ihre ursprüngliche Bedeutung bekommt, nämlich den Menschen an die höhere Wirklichkeit und an seinen geistigen Ursprung zu erinnern. Ihre heutigen Aufgaben liegen in der Wiederbeseelung aller Lebensbereiche. Kunst ist eine Dimension außerhalb des Materialismus: sie ist dessen Verneinung. Die zentrale Arbeit findet derzeit im Bereich des Denkens statt, im Sinne einer Herauslösung der Begriffe aus den materialistischen Ideologien. Entscheidend ist der intelligible Bestandteil der Kunst. Ideen erschaffen die Wirklichkeit. Als Künstler muß ich – wie jeder Mensch auf dem Weg zu sich selbst - in die Unterwelt hinabsteigen, in die innere Dunkelheit, dorthin, wo die Formen sich auflösen. Die Inhalte steigen in das Fühlen empor und können vom Denken erkannt werden. Kunst ist eine mythische Zone; sie ist ein dreipoliges universelles Prinzip, in das ich als derjenige, der handelt, existentiell eingebunden bin. Mein Konzept der Wellenfelder ist ein Konstruktions- prinzip und gleichermaßen eine umfassende existentielle Metapher, eine archetypische Struktur. Das Bild ist eine Fläche aus Antagonismen, ein kymatischer Raum aus positiven und negativen Feldern. Ich male an der Wellenfront. Der Steuermann auf den Wellenfeldern des Lebens, der Schwimmer der mystischen See - zwischen Wellenberg und Wellental, zwischen Form und Negation erkennen sie das Licht.


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